Piz Bernina Biancograt

Piz Bernina Biancograt

Hochtour in den Bernina-Alpen am  27./28.06.2023

Vom Biancograt am Piz Bernina habe ich schon lange geträumt. Schließlich ist es eine der berühmtesten Touren der Alpen. Und spätestens als ich den Grat 2016 vom Piz Morteratsch aus aus der Nähe sah, wollte ich da unbedingt mal hoch. Umso schöner, dass es jetzt endlich soweit war, auch wenn das Wetter den Genuss leider etwas einschränkte.

Lang ist der Weg durchs Val Roseg zur Tschiervahütte. Lang und nur wenig anspruchsvoll. Er bietet viel Zeit, die Landschaft zu bestaunen, das Wetter zu beobachten und die Gedanken fliegen zu lassen. Gedanken zum Beispiel daran, wie es wohl werden würde am Biancograt. Unsere erfolgreiche Tour am Piz Kesch hatte uns Selbstvertrauen gegeben, auch morgen den Schwierigkeiten gewachsen zu sein. Trotzdem war ich nervös und es fühlte sich seltsam an, diesen lang gehegten Traum nun ernsthaft anzugehen. Und auch ganz fit war ich noch nicht wieder. Meine Erkältung war nicht schlimm, nahm mir aber doch etwas Kraft.

Val Roseg
Wir starten ins Val Roseg.
Zustieg Tschiervahütte
Das Tal ist schön und lang.
Val Roseg
Blühen tut es hier auch.

Das Wetter war drückend, was das Gehen anstrengend machte. Und so waren Gregor und ich froh, als wir gegen 14:00 Uhr die Tschiervahütte erreichten. Hier aßen wir erst einmal ein spätes Mittagessen und legten uns dann für einen kleinen Mittagsschlaf ins Lager.

Später ließen wir uns von der Hüttenwartin über die Verhältnisse am Grat aufklären und fanden uns dann zum Abendessen ein. Zwei sehr fit wirkende Schweizer wollten am nächsten Tag durch dessen NO-Wand auf den Piz Roseg, ein paar Gäste hatten bescheidenere Ziele, und sieben Seilschaften wollten zum Biancograt, fünf davon mit Bergführer. Die einzigen Führerlosen waren zwei Münchner und wir. Nach dem Essen kam noch ein Alleingänger mit Ski am Rucksack an der Hütte an. „So ein verrückter Bergführer aus Chamonix,“ hieß es bald in der Hütte. Wir waren gespannt, was er vorhaben würde.

Piz Bernina
Hier üben wir schon mal für den Biancograt im Hintergrund. 😉
Piz Roseg
Piz Roseg und Vadret da Tschierva

Nach einer recht guten, aber zu kurzen Nacht klingelte der Wecker um 02:50 Uhr. Aufstehen, packen, frühstücken und dann um 03:45 Uhr im Schein der Stirnlampen aus der Hütte. Endlich losgehen, die Aufregung in Bewegung umsetzen und meine Gedanken in Aktion. Das tat gut, auch wenn der Zustieg zum Vadret da Tschierva noch nicht so inspirierend war.

Zustieg Biancograt
Unterwegs auf dem Vadret da Tschierva

Als wir unsere Steigeisen anlegten, war es bereits hell. Vor uns lag ein kurzer Gletscherabschnitt und dann das Firnfeld, das zur Fuorcla Prievlusa leitet. Dort waren bereits einige Seilschaften unterwegs, die gerade vom Tourengeher aus Chamonix überholt wurden. Der Firn war gut begehbar und auch den Bergschrund konnten wir problemlos überwinden. So ersparten wir uns den Klettersteig und konnten (mir ganz kurzer Unterbrechung) im steilen Firn (ca. bis 45°) zur Scharte steigen.

Zustieg Fuorcla Prievlusa
Über den Firn geht es in die Fuorcla Prievlusa.
Zustieg Biancograt
Noch ist die Aussicht wunderbar.
Aufstieg im Firn
Es geht aufwärts.

In der Fuorcla Prievlusa hatten wir zum ersten Mal freie Sicht auf die Bovalseite. Auf die gewaltigen Flanken von Piz Palü und Bellavista. Und auf die Eisströme, die hier zum Vadret da Morteratsch zusammenfließen. Und hier hatte ich auch zum ersten Mal das Gefühl, dass wir das packen können mit dem Biancograt. Denn bis hierher waren wir zügig durchgekommen und der nun folgende Felsgrat sah recht einladend aus.

Aussicht Fuorcla Prievlusa
Tolle Ausblicke auf Piz Palü und Bellavista

Da in unserem Topo eine Stelle im vierten Grad eingezeichnet war, seilten wir hier an. Allerdings bemerkten wir die Stelle kaum und halten sie im Führer auch für überbewertet. Schwerer als III wird es hier eigentlich nicht. Die Kletterei lief dann auch richtig gut. Einige Bohrhaken und viele Gratzacken sorgten für eine ausreichende Absicherung, während wir am laufenden Seil über den aussichtsreichen Grat kraxelten.

Klettern Biancograt
Gregor hat Spaß.

Beim Abstieg vom Fels in den Firn machten wir dann allerdings einen Fehler. Wir ließen uns von einigen bunten Schlingen zu einem improvisierte Abseilstand an einem Klemmblock leiten. Von dort aus landeten wir in einem steilen Firnhang am Fuße der Wand. Das war zum erneuten Anziehen der Steigeisen und Verstauen des Seils nicht so angenehm, was uns etwas Zeit kostete. Wären wir hingegen bis zum Gratende weitergegangen, hätten wir auf die bequemsten 5qm zwischen Tschiervahütte und Rifugio Marco e Rosa abseilen können.

Biancograt Haifischflosse
Die Haifischflosse können wir umgehen.
Piz Bernina Biancograt
Die berühmte Himmelsleiter trübt sich ein.

An besagtem bequemen Platz machten wir trotzdem noch mal kurz Pause und aßen einen Riegel. Der kalte Wind, der von Westen wehte, würde Pausen weiter oben am Berg eher ungemütlich machen, daher nutzten wir hier die Gelegenheit.

Der Felsen der „Haifischflosse“ ließ sich gut umgehen, dann ging es an den Firngrat. Leider brachte der Wind auch Wolken und innerhalb weniger Minuten standen wir voll im Nebel. Schade, würde es wohl nichts werden mit dem „Himmelsleiter“-Feeling. Stattdessen stapften bald ohne Sicht die zum Glück sehr deutliche Spur nach. Ich hatte mir oft vorgestellt, wie es sein würde, hier entlang zu spazieren, auf der Firnschneide, mit fantastischer Aussicht in alle Richtungen. Tja, die Firnschneide konnte man ungefähr fünf Meter weit erkennen. Mehr Aussicht war nicht.

Aufstieg Biancograt
Ohne Sicht am Biancograt

Der Steilaufschwung des Grates (40-45°) war blank und erforderte Steigeisen- und Pickeleinsatz. Auf den Frontzacken arbeiteten wir uns hier hoch, was die Wadln ordentlich zum Brennen brachte und den Puls in die Höhe trieb. Immerhin mussten wir keine Schraube setzen, wie die Gruppen vor uns, die hier angeseilt aufgestiegen waren. Nach der Steilstufe wurde der Grat schmaler. Die Ausgesetztheit ließ sich in der Suppe nur erahnen. Dazu vereiste meine Brille auf der windzugewandten Seite, so dass ich dort die Tiefe noch schlechter erkennen konnte.

Dann erreichten wir den den Piz Bianco. Der Skitourengeher war so schnell unterwegs, dass er schon wieder vom Hauptgipfel zurück war und sich nun für die Abfahrt bereit machte. Irre. Wir wechselten ein paar Worte. Gregor und ich waren etwas ungläubig, dass er jetzt bei diesem Wetter den Grat abfahren wollte. Aber er wirkte ganz entspannt. „Slowly, slowly,“ werde er sich das ansehen und das gehe schon. Im Nachhinein erfuhren wir über Social Media, dass es sich um den bekannten Steilwandskifahrer Vivian Bruchez handelte. Kein Wunder also, dass er sich hier nicht aus der Ruhe bringen ließ.

Wir hingegen hatten noch etwas Aufstieg vor uns, namentlich den Übergang zum Piz Bernina. Da noch Einiges an Schnee lag, kletterten wir nun mit Steigeisen, dafür ohne Seil. Die Felsen waren zum Glück nicht vereist und ließen sich gut klettern. Auch die Schwierigkeiten (bis 3a) hatten wir gut im Griff. Trotzdem: dank der enormen Ausgesetztheit über fast die gesamte Strecke fand ich diesen Abschnitt schon anspruchsvoll.

Piz Bernina Biancograt
Nach dem Piz Bianco wird es noch einmal felsig.
Klettern Biancograt Piz Bernina
Die Kletterei ist schön, das Wetter könnte besser sein.

Zwei Mal seilten wir ein Stück ab, dazu kam als Schmankerl der berüchtigte Spreizschritt, bei dem ein Stück Fixseil hilft. Angenehm war auch, dass die Verankerung des Fixseils die Selbstsicherung mittels Schlinge während der Turnübung erlaubte. Das entspannte die Situation dann doch deutlich.

Schließlich hatten wir den großen Grattum überwunden und wandten uns dem letzten Steilaufschwung zu. Danach legte sich der Grat zurück und nach einem letzten sehr schmalen, kombinierten Gratstück erreichten wir den Gipfel des Piz Bernina (4048m). Kein Kreuz oder sonstiges Zeichen ziert den höchsten Punkt der Ostalpen, dazu ist hier kaum ausreichend Platz, um sich richtig hinzustellen. Schön, dass dieser berühmte Gipfel in seinem Urzustand belassen wurde.

Biancograt Piz Bernina
Auf den letzten Metern zum Piz Bernina. ©Foto Gregor Sewald
Gipfelfoto Piz Bernina
Verhaltene Freude am Gipfel. ©Foto Gregor Sewald

Ein paar Meter weiter weitet sich der schmale Grat dann zu einem kurzen Hangabschnitt, der breit genug war für eine Gipfelpause. Hier war der Wind auch etwas weniger stark, dazu spitzelte sogar die Sonne vorsichtig durch die Wolken. Gregor und mir war es nur recht, ein klein wenig Wärme einzusammeln. Hier enteiste ich auch meine Brille. Bei der Gratkletterei hatte es mich richtig gestört, dass ich nur nur durch ein Glas scharf sehen konnte. Denn so war es schwierig, Entfernungen abzuschätzen, was insbesondere beim Abklettern ein Handicap war.

Gipfelpause Piz Bernina
Gipfelpause mit halbem Durchblick

Frisch gestärkt und mit durchsichtigen Brillengläsern gingen wir den Abstieg vom Piz Bernina an. Bis zur Spedla bot der Grat eine Mischung aus Firn und Fels und war weiterhin sehr ausgesetzt. Danach folgte etwas Abkletterei (II) und eine Abseillänge in den Firn. Wer hier nicht so viel abklettern mag, kann auch mehrfach abseilen, Kettenstände sind ausreichend vorhanden. Nun folgten wir dem hier breiteren Grat noch ein Stück und kletterten schließlich nach rechts ein Couloir hinab (abseilen ebenfalls möglich). Darunter weitete sich der Hang und wurde allmählich flacher, bis wir entspannt diversen Spuren folgend hinab spazieren konnten.

Abseilen Spallagrat
Unsere Abseillänge am Spallagrat.©Foto Gregor Sewald
Abstieg Spallagrat
Gregor zeigt es an: Gleich sind wir angekommen.

Als sich dann vor uns die Silhouette der Marco e Rosa-Hütte aus den Wolken schälte, wussten wir, dass wir es geschafft hatten. Der ganz große Genuss war es bei dem Wetter heute leider nicht gewesen, trotzdem eine große, spannende Tour.

Rifugio Marco e Rosa
Hütte erreicht. ©Foto Gregor Sewald

Um 14:00 Uhr traten wir schließlich durch die Tür der höchstgelegenen Hütte der Ostalpen (3609m). Eine Suppe vertrieb die Kälte aus den Körpern und Schokolade holte die Lebensgeister zurück. Und dass wir auch ohne Reservierung später einen Schlafplatz im (sehr engen) Lager bekamen, rundete die Sache ab. So endete diese Traumtour im Nebel. Aber irgendwie war es natürlich trotzdem schön. Immerhin war für den nächsten Tag besseres Wetter vorhergesagt. Wir waren gespannt…

Espresso
Klarer Vorteil italienischer Hütten: Guter Espresso

 

Hannes Gostner, Redakteur

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen